Der Gottesdienst

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Adventspredigt

Historische Predigt - heute neu gehalten

Predigt von Pastor D. Dr. Friedrich von Bodelschwingh, gehalten am 14. Dezember 1933 in der Reinoldikirche zu Dortmund im Rahmen einer Adventsfeier aus Anlass der Westfälischen Provinzialsynode. Hier ist zunächst der gekürzte Text, wie er im Rahmen des des Projektes Historische Predigten rezitiert wurde.

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Siehe, ich mache alles neu!

Offenbarung 21,5

In den Wochen vor Weihnachten wanderte ich einmal durch eines unsre Häuser in Bethel. Da fand ich ein kleines, krankes Mädchen, das mit vergnügtem Gesicht aufrecht in seinem Bette saß.

Als ich zu ihm kam, rief es mir schon von weitem zu: „Onkel Pastor, ich weiß ein Geheimnis!“ „So,“ sagte ich, „was ist das denn für ein Geheimnis? „Ja“, sagte es, „du musst mir erst fünf Pfennig schenken, dann sage ich es dir.“ Dabei guckte es mich so schelmisch und zuversichtlich an, dass ich nicht anders konnte, als seine Bitte erfüllen.

Ich legte also ein Fünfpfennigstück vor ihm auf die Bettdecke: „Nun lass mich dein Geheimnis wissen.“ Da faltete die Kleine andächtig ihre Hände und sagte nur diese Worte: „Advent – Advent – Advent – Advent – Weihnachten!“

Zuerst musste ich lachen und denken: Kind, dafür hätte ich nicht fünf Pfennig zu bezahlen brauchen. Aber dann blieb der Klang der Kinderstimme in meinem Ohr und Herzen hängen: „Advent – Advent – Advent – Advent – Weihnachten!“ Es war, wie wenn eine große Glocke läutete und ihre vier letzten Schläge klingen feierlich durch die schweigende Stille; und dann fällt plötzlich die Orgel ein mit einem fröhlichen Jubel.

Es war, wie wenn jemand im Dunkeln langsam eine Treppe hinaufsteigt, eine Stufe nach der andern; und plötzlich springt vor ihm eine Tür auf, und alles wird hell.

Das kleine Mädchen ahnte, was das Geheimnis der Adventszeit ist: Warten und Wandern, Wandern und warten, bis Weihnachten kommt.

Weihnachten ist das Hereinbrechen des völlig Neuen in eine alte Zeit.

Das hat die erste Adventsgemeinde mit großer Verwunderung erlebt. Sie hatte gewartet und gehofft. Sie hatte nach den Verheißungen der heiligen Bücher versucht, sich auszumalen, was wohl kommen würde. Sie hatte mit Ernst um dieses Kommen gebetet. Aber als es dann kam, war es lauter überraschung: statt des herrlichen Helden ein kleines Kind; statt des königlichen Palastes ein elender Stall; statt einer dem Heiland zujauchzenden Gemeinde der Vornehmen und Frommen ein kümmerliches Häuflein armseliger Hirten.

Als aber diese Hirten vor dem Kinde knieten, da sahen sie in seinen Augen ein Leuchten der ewigen Welt. Da ahnten sie, dass diese kleinen Kinderhände mächtiger seien als alle starken Streiter der Welt. In ihrer Seele klang "die gute neue Mär", die der Gottesbote ihnen gebracht hatte: "Siehe, ich verkündige euch große Freude!" Das aber war der Jubel dieser Freude:

Gott hat durch dieses Kind in der Geschichte der Menschheit einen völlig neuen Anfang gemacht.

In die verhallenden Glockentöne der Zeit klingt das Freudenlied der Ewigkeit. Vor den im Dunkeln mühsam Aufwärtssteigenden, die schon fast verzagen wollten, öffnet sich die Tür der Herrlichkeit Gottes. Die Herrlichkeit Gottes aber ist das Offenbarwerden seiner väterlichen Liebe. Also hat Gott die Welt geliebt – dadurch macht er alles neu.

Als dann aus dem Kind von Bethlehem der Mann geworden war, der seine heilige Arbeit tat, da haben viele es erlebt, wie in die Adventserwartung das Weihnachtswunder kommt. Sie warteten auf leibliche Hilfe, aber sie fanden den Befreier aus jeglicher Not. Sie hofften auf ein wenig Licht für ihre traurigen und schwankenden Herzen; aber vor ihnen ging auf der Morgenglanz der Ewigkeit.

Was dieser Christus sprach, das waren ganz schlichte Worte, wie sie andere ähnlich gesagt hatten; aber diese Worte hatten einen völlig neuen Klang. Was dieser Christus tat, das ging allem Auffälligen fast ängstlich aus dem Weg; aber in dem Unscheinbaren geschahen lauter Gotteswunder. Das eigentliche Gotteswunder aber blieb er selbst. (... An dieser Stelle ist der Originaltext hier gekürzt ...)

Um des Christus willen, der völlig unser Bruder wurde, bis in die Tiefe unsrer Todesnot hinein, dürfen wir nun Gotteskinder werden, gerufen durch sein Wort, geheiligt durch seinen Geist, bestimmt für sein königliches Reich. So entsteht eine Gemeinde. Christus hat nie daran gedacht, nur einzelne Menschen selig zu machen. Sondern er verband die, die zu ihm kamen, mit sich selbst und dadurch auch untereinander. Vom ersten Augenblick an merkten die Jünger:

Wir können nur Christi Gesetz erfüllen, wenn einer des andern Last trägt.

Man kann nicht Nachfolger Jesu sein und dann ein frommer Einsiedler werden. Die durch ihn aus der Welt Herausgerufenen werden von ihm in die Welt hineingeschickt; und zwar so, dass ihre Sendung Zeugnis wird und ihr Dienst dem Leben und Lieben des Christus Bahn bereitet. (...) Im Glauben geeinte Leute können sich untereinander lieb haben. Menschen, die sich um Christi willen lieb haben, lernen vergeben und sich vergeben lassen; lernen dienen und sich dienen lassen; lernen nicht sich selber leben, sondern Dem, der für sie starb und auferstand. So bekommt die Gemeinde Christi ihre Einheit und Freiheit. (...) So geschieht täglich das Weihnachtswunder der ewigen Gnade: Siehe, ich mache alles neu.

Auf dieses Weihnachtswunder warten wir alle in dieser Zeit. (...) Wir wandern die Adventsstufen hinauf, eine nach der andern, und hoffen auf ein neues Aufspringen der Tür, die in das Land der Liebe Gottes führt. Denn wir sind die alten Dinge so herzlich leid.

Alt ist unsre Gebundenheit an die irdischen Fesseln. Alt sind unsre Gedanken und Gewohnheiten. Alt ist unsre eigene Art, die so oft zur Unart wird. Alt das Schwanken zwischen Trotz und Verzagtheit; alt die Menschenfurcht und Menschenscheu, die uns unfrei und unnatürlich macht. Alt die Neigung, uns selbst zu isolieren und nur an die eigenen Interessen zu denken; alt die Trägheit im Dienen und die Müdigkeit im Hoffen.

Weil wir für die Zukunft zu wenig hoffen, darum trauen wir Gott für die Gegenwart viel zu wenig zu. Weil wir es Gott nicht zutrauen, dass er an uns, an den jungen Leuten und an den alten Leuten, noch eine große Tat tun kann, darum trauen wir es uns selbst nicht zu, frisch und tapfer die Aufgaben anzufassen, die uns gegeben sind. (...)

Was wir machen, das ist immer Stückwerk; was wir meinen, das ist meistens Irrtum. Was aber Gott uns schenkt, das trägt den Stempel seiner heiligen Vollkommenheit. Mit all den tausend Mühen und Mängeln unsres Lebens kommen wir darum vor sein Angesicht und bitten: Herr, nimm uns ab, was alt ist; schenke uns aus deinen Händen und deinem Herzen, was wirklich neu ist: einen neuen gewissen Geist; eine neue Kraft im Harren auf dich; ein neues Pflügen des uns anvertrauten Ackerfeldes; eine neue Erfüllung des Gebotes, dass wir uns untereinander Lieben sollen; ein neues Lied zu deinem Lobe! Herr, du weißt wir sind deine armen, kleinen Leute und bleiben es auch. Aber bitte, fang doch mit deiner großen Advents- und Weihnachtsarbeit bei uns an: Siehe, ich mache alles neu.

Das ist in diesen Tagen unsre Bitte ganz besonders auch für unsre teure evangelische Kirche. Sie geht seit dem Frühling dieses Jahres durch einen schweren Sturm. Der hat sie bis in die Grundfesten erschüttert. Das sehe ich nicht als Unglück an. Zeiten der Ruhe sind für die Gemeinde Jesu immer gefährlich. Zeiten des Sturmes können Segen in sich schließen, wenn sie in der rechten Weise erkannt und genutzt werden.

Gott hat in der Geschichte unsres Volkes ein neues Blatt aufgeschlagen.

Gott hat dem Wagen unsrer Nation eine neue Wendung gegeben. Davon konnte unsre Kirche nicht unberührt bleiben. Die Gemeinde Jesu würde den Gehorsam und die Liebe verleugnen, wenn sie die Menschen nicht dort sehen wollte, wohin Gott sie gestellt hat. Wird die Gemeinde dadurch vor neue Fragen gestellt und zur innersten Besinnung genötigt, so soll sie in Demut dafür danken. Gepriesen sei der Hammer Gottes, der in der Kirche zerschlägt, was hart oder steif werden will! Gepriesen sei der Sturmwind Gottes, der welke Blätter wegfegt und morsche äste zerbricht! Eine Kirche, die nur auf den bisherigen Wegen weitergehen und mit den bisherigen Methoden weiterarbeiten will, ist keine Kirche, sondern eine Versteinerung. Der Herr Christus aber ist nicht auf die Erde gekommen, um seine Jünger zu Hütern von Altertümern zu machen. (...)

Eine Kirche, die nicht Bewegung ist, ist nicht Gemeinde Jesu. (...)

Darin sind wir, soweit ich sehe, alle eins: Wir bitten Gott um eine Kirche, die ernsthaft und entschlossen vorwärts schaut. Aber nun ist das unsre Not, dass wir, die wir die Kirche bauen sollten, so viel Altes an uns haben. Dieses Alte, das in uns selber steckt, steht dem Wirken Gottes wie ein großes Hindernis im Wege. (...) Fangen wir unsre Arbeit damit an, dass wir vor Gottes Angesicht tiefbeschämt unsre Schuld bekennen. "Herr", sagen wir, "es ist fast unglaublich, wie viel von dem alten Wesen wir noch an uns tragen und wie viel Schaden wir dadurch angerichtet haben! Bitte, vergib es uns! Bitte, nimm doch dieses Alte von uns ab!" (...) Das hier und da das schwerste Wort gesprochen werden konnte, dass es auch für Christen gilt, das Wort: Wir haben unrecht getan – das ist Gabe des Geistes, der ein Geist der Herrlichkeit Gottes ist.

Diese zarten und innersten Dinge, von denen ich mit Freimut zu euch spreche, sind darum so ungeheuer wichtig, weil wir schlechterdings keine Zeit mehr haben, uns untereinander zu streiten. Die evangelische Christenheit gleicht gegenwärtig einer belagerten Festung, vor deren Türen der Feind steht.

Eine neue Welle des Heidentums bedroht über uns hereinzubrechen.

Seine Vorboten sind an manchen Stellen schon mitten hineingebrochen in die evangelische Christenheit. Die Jugend droht uns verloren zugehen; und viele Menschen öffnen ihre Ohren neuen Propheten, die von Christus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen, nichts wissen wollen. Wir aber glauben, dass auch heute in keinem andern Heil ist für unser Volk. Wir glauben, dass die alte Mär von Weihnachten und Ostern immer neu ist und immer modern. Wir glauben, dass die Stunde der frohen Botschaft nicht vorüber ist, sondern heute schlägt. Wir glauben, dass auch heute Adventszeit werden kann in deutschen Landen für unsren König Jesus Christus. Wir glauben, dass Gottes Geist auch heute mächtig ist, und dass seine große Weihnachtsverheißung von dem Thron der Herrlichkeit auch der Kirche unserer Tage gilt: Siehe, ich mache alles neu. (...)

Nicht Redner, sondern Beter braucht unsre Kirche.

Vor dreißig Jahren habe ich manchmal als Hilfsprediger der Reinoldi-Gemeinde hier auf dieser Kanzel gestanden. Ich war damals noch sehr jung. Ich war sehr bange vor dieser großen Kirche. Ich wusste oft wirklich nicht, wie und was ich reden sollte. Aber wenn ich dann auf die Kanzel kam, dann sah ich einen Augenblick hinüber nach einer bestimmten Bankecke drüben auf der linken Seite. Da saß eine schmale, blasse Frau im Diakonissenkleid, Schwester Johanna Balweg. Als Mädchen war sie einst in unser Haus gekommen, als ich ein kleiner Junge von zwei oder drei Jahren war. Da hat sie mich oft auf den Armen getragen; da hat sie über meine Kindheit mit Treue gewacht. Nun diente sie mit ihrer letzten, schon schwindenden Kraft den Kindern dieser Gemeinde. Mir aber tat sie den größten Dienst, den ein Mensch dem andern tun kann. Sie betete für mich. Wenn ich von der Kanzel ihre Augen sah, dann wurde ich still. Denn nun wusste ich: Du stehst hier oben nicht allein. Eine im Leiden und Lieben gereifte Jüngerin Jesu steht unablässig hinter dir. Wir beide waren versammelt im Namen Jesu; da war er mitten unter uns.

Seht, liebe Gemeinde, wir Pastoren bleiben immer Hilfsprediger, auch wenn wir noch so alt werden. Und all unser Dienen in der Kirche ist armselige Stümperei. Einer aber ist der Meister; das ist Christus. Euch alle ruft er zu seinen Handlangern und Gehilfen. Eine betende Gemeinde wird auch eine arbeitende Gemeinde. Eine im Geben arbeitende kommt aus dem Streit zum Frieden und aus dem Stillstand in eine heilige Bewegung. Alle Bewegung in der Kirche Christi aber ist Adventserlebnis und Weihnachtsgabe aus der Hand dessen, der auf dem Stuhl der Herrlichkeit sitzt und zu uns spricht: Siehe, ich mache alles neu.

Amen.

Seite 2: Der ausführliche Originaltext dieser Predigt